EU beschließt Fiskalpakt und Rettungsfonds
Der EU-Gipfel hat sich auf weitere Maßnahmen gegen die Schuldenkrise geeinigt. Doch beim Thema Sparkommissar für Athen blieb die Kanzlerin ungehört. Überhaupt: Der Fall Griechenland ist nach wie vor ungelöst.
Die Staats- und Regierungschefs der EU haben auf ihrem Sondergipfel in Brüssel am späten Montagabend (30.01.2012) den dauerhaften Rettungsfonds ESM abgesegnet. Er soll am 1. Juli dieses Jahres inkrafttreten und damit ein Jahr früher als ursprünglich geplant. Der Fonds soll den bisherigen Rettungsschirm EFSF ablösen und 500 Milliarden Euro zur Verfügung haben. Doch ob die Summe noch aufgestockt wird, darüber soll im März entschieden werden. Die Bundesregierung wollte erst nicht über 500 Milliarden hinausgehen, hatte sich aber zuletzt flexibler gezeigt.
Auch den Fiskalpakt zu mehr Haushaltsdisziplin haben die Regierungschefs gebilligt. Ausgenommen sind Großbritannien, das von Anfang an nicht mitmachen wollte, und Tschechien, das noch Verfassungsbedenken geltend macht. Die könnten aber noch überwunden werden.
Klage schon aus Angst vor der Presse
Entscheidend für Deutschland war vor allem die Schuldenbremse. Sie soll in allen Ländern des Fiskalpakts gesetzlich so stark verankert werden, dass sie auch von späteren Regierungen nicht wieder abgeschafft werden kann. Führt ein Land die Schuldenbremse trotzdem nicht ein, gibt es die Möglichkeit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Berlin wäre es am liebsten gewesen, die Kommission selbst hätte geklagt. Jetzt muss mindestens ein Land klagen. Merkel befürchtet trotzdem nicht, dass aus falscher Rücksichtnahme kein Land gegen ein anderes klagen wird. "Glauben Sie, dass wir dann pressemäßig mehrere Tage überleben würden? Ist doch ausgeschlossen! Wahrscheinlich klagen wir dann zu 25 vor Schreck!"
Manche Kompromisse "können das Gebäude zum Einsturz bringen"
Ein Streitpunkt war auch noch der Einfluss der Nicht-Euro-Länder, die aber am Fiskalpakt teilnehmen, auf Entscheidungen der Eurogruppe. Frankreich wollte sie von den künftigen Euro-Gipfeln, die mindestens zweimal im Jahr stattfinden sollen, ausschließen. Doch für den Fall wollte zum Beispiel auch Polen dem Fiskalpakt fernbleiben. Nach einem Kompromiss sollen diese Länder nun mit am Verhandlungstisch sitzen, wenn es bei diesen Treffen um die Anwendung des Fiskalpakts oder um die Zukunft des Euro geht, sonst nicht. Dem französischen Präsident Nicolas Sarkozy war es jedenfalls sehr wichtig, die verschiedenen Stufen des Engagements zu trennen. "Europa gründet sich auf Kompromissen. Aber es gibt den Augenblick, wo der Kompromiss, wenn er zu weit geht, das gesamte Gebäude zum Einsturz bringen kann. Das ist ganz wichtig zu verstehen." Es gebe also demnächst drei Ebenen von Treffen: Wenn es um den Binnenmarkt geht, seien es 27; wenn es um den Fiskalpakt geht, seien es 25 oder 26; und wenn es um den Euro geht, dann seien es 17.
Nicht nur sparen, auch wachsen
Beim offiziellen Gipfelthema Wachstum und Beschäftigung hatte der Gipfel ohnehin nur geringe Erwartungen geweckt. Man will Sparen mit Wachstumsimpulsen verbinden, um etwas gegen die wachsende Arbeitslosigkeit zu tun. Aber beide Ziele sind schwer miteinander zu vereinbaren. Wachstumsmaßnahmen sollen möglichst nichts kosten. Allenfalls sollen bestehende EU-Fördermittel besser eingesetzt werden. Für großangelegte Konjunkturprogramme wie nach dem ersten Teil der Krise fehlt das Geld. Und auch beim Thema Finanztransaktionssteuer kommt die EU nicht recht weiter. Sarkozys Ankündigung, er werde sie auch allein in Frankreich einführen, haben die meisten Regierungschefs ignoriert.
Alles wartet auf den Griechenland-Bericht
Dass das Thema Griechenland gar nicht auf der Tagesordnung stand, erschien angesichts der dramatischen Lage ziemlich künstlich. Offiziell wollen alle den jüngsten Bericht der Troika aus EU, EZB und IWF zu Griechenland abwarten. Außerdem laufen die Verhandlungen mit privaten Gläubigern über einen Schuldenerlass noch. Aber jeder weiß, dass Griechenland mit den Spar- und Reformverpflichtungen deutlich im Rückstand ist. Deutschland hatte in der vergangenen Woche vorgeschlagen, Griechenland die Hoheit über seine Haushaltspolitik zu entziehen und einen Sparkommissar der Eurogruppe einzusetzen. Berlin stach damit in ein Wespennetz. Martin Schulz, der neue Präsident des Europaparlaments, warf der Bundesregierung einen unsensiblen Umgang mit dem Thema vor. "Es sagt etwas darüber aus, dass es Leute gibt, die nicht dazu beitragen, die ohnehin angespannten Verhältnisse zwischen den Mitgliedsstaaten der Eurozone zu entspannen, sondern offensichtlich zu verschärfen, und das ist das Gegenteil von dem, was wir brauchen." Auch Sarkozy schloss aus, ein Land "unter Kuratel zu stellen".
Dem Fass einen Boden einbauen
"Die Kanzlerin hatte sich bereits bei der Ankunft in Brüssel angesichts der geballten Kritik in der Wortwahl zurückgehalten. In der Sache gab sie aber nicht nach. "Eine gewisse Frustration" sei zu spüren, "Überwachung" sei notwendig und auch schon beim Gipfel im vergangenen Oktober grundsätzlich vereinbart worden. Hintergrund ist, dass die Deutschen, aber auch andere Länder mit relativ soliden Staatsfinanzen, wie Finnland oder die Niederlande, mit Griechenland kein Fass ohne Boden wollen, in das sie endlos Hilfsgelder schütten, ohne dass sich die Situation wirklich bessert.
Anschauungsunterricht für das, was überall in Europa drohen könnte, wenn die Krise so weitergeht, bot ausgerechnet der Tagungsort Brüssel. Denn mit einem Generalstreik in Belgien gegen die Sparpolitik hatten die Gewerkschaften auch den Flughafen lahmgelegt. Die Staats- und Regierungschefs konnten zwar auf einen Militärflughafen ausweichen, aber bekamen die Unzufriedenheit doch deutlich mit.
Autor: Christoph Hasselbach, Brüssel
Redaktion: Sabine Faber
fuente: Deutsche Welle,
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