Vietnams explosives Erbe

Der Tag, an dem der Krieg zurück in sein Leben kam, begann für Le Kien wie ein Tag unter vielen anderen. Der Bauer bestellte Reisfelder und einen Gemüsegarten. Auch an diesem Tag verließ er morgens sein Haus. Kurz darauf kniete Kien in den Beeten, neben ihm spielte seine vierjährige Tochter. "Sie kam immer mit, wenn ich im Garten zu tun hatte", erzählt er. Plötzlich gab es einen lauten Knall, Kien hatte mit seiner Hacke eine Streubombe getroffen. "Meine Tochter war sofort tot, und ich war schwer verletzt. Ich hatte die Bombe nicht gesehen. Ich war ja in meinem Garten, und die Bombe lag ein wenig unter der Oberfläche versteckt." Der Krieg, dem Le Kiens kleine Tochter zum Opfer fiel, war da bereits seit 15 Jahren vorbei.



Immer wieder Unfälle




Während des Vietnamkriegs verlief nicht weit von Kiens Haus die Frontlinie zwischen Nord- und Südvietnam. Mit der Eroberung der südvietnamesischen Hauptstadt Saigon durch den kommunistischen Norden im Jahr 1975 endeten die Kämpfe. Die US-Truppen zogen ab. Doch den Bauern an der ehemaligen Front, wie Kien und seiner Frau Nguyen Thi Huong, hinterließen sie ein fatales Erbe. "Unfälle hatte es bei uns immer wieder gegeben", erzählt Huong. "Nur einen Monat bevor unsere Tochter starb, hat ein Nachbar bei der Arbeit seine Hand verloren."



Noch immer ist der Boden von Granaten oder Minen verseucht



Auch ohne den Regen, der im Herbst und Winter manchmal tagelang über der Provinz Quang Tri niedergeht, gibt es kaum andere Beschreibungen als "trist" für diese Gegend. Zwar sind 35 Jahre nach den amerikanischen Angriffen mit dem Entlaubungsmittel Agent Orange die Pflanzen wieder nachgewachsen, doch immer noch wirkt die Vegetation ausgedünnt, nur ein paar niedrige Bäume und ansonsten viel Gestrüpp säumen die Straßen. Während des Vietnamkriegs gingen über der Provinz Quang Tri mehr Bomben nieder als über Europa im Zweiten Weltkrieg. Dabei ist die Provinz gerade so groß wie ein Sechstel von Belgien. Quang Tri ist die am stärksten verseuchte Provinz, doch fast in ganz Vietnam finden sich noch Überreste des Krieges: nicht explodierte Granaten, Panzerminen, Bomben und Streumunition. Lieutenant Hoang Trung Ha gehört einer Minenräumeinheit des vietnamesischen Militärs an. Eine systematische Minenräumung könne die Armee nur bei großen Infrastruktur- und Bauprojekten vornehmen, erklärt er. "Ich schätze, dass es 200 bis 300 Jahre dauern würde, um das ganze Land minenfrei zu machen." Die Überreste des Kriegs lagern überall in dieser Erde. Insgesamt sind in der Provinz seit dem Ende des Krieges mehr als 7000 Unfälle mit Blindgängern passiert, über 2000 Bewohner sind dabei umgekommen.



Der Regen legt die Blindgänger frei



Im Distrikt Cam Lo, nicht weit von der Provinzhauptstadt Dong Ha sitzen Dinh Ngoc Vu und seine Kollegen in einer kleinen Baracke und warten auf besseres Wetter. Vu arbeitet für ein ziviles Minenräumprogramm. Das Projekt Renew kümmert sich um Blindgänger, die zufällig von den Bewohnern entdeckt werden. Wenn jemand auf seinem Grundstück verdächtige Objekte findet, rücken Vu und sein Team aus, um zu entschärfen. Vu und die anderen Mitglieder des Minenräumkommandos tragen sandgelbe Uniformen und Gummistiefel, doch Minen räumen werden sie heute nicht. Bei dem Wetter ist es zu gefährlich. Umso mehr wird es danach zu tun geben. "Bei Regen und starkem Wind kommt viel Munition an die Oberfläche", sagt er "Die Leute finden sie, wenn Sie auf dem Feld arbeiten."



Der Tod lauert unter jedem Stein




Als Le Kien mit seiner Hacke auf die Streubombe traf, konnte seine Frau Nguyen Thi Huong die Explosion damals vom Haus aus sehen. Sie rannte zur Unfallstelle, dann kamen Nachbarn und halfen, ihren Mann ins Krankenhaus zu bringen. "Als sie mir später erzählt haben, dass meine Tochter tot ist und mein Mann ein Bein verloren hat, bin ich in Ohnmacht gefallen", erzählt sie mit leiser Stimme. "Danach war ich am Ende. Mein Mann lag im Krankenhaus, und meine Tochter war tot. Ich bin abgemagert und war depressiv. Ich konnte gar nichts mehr tun für meine Familie."



"Wir wissen nicht, was noch unter der Erde liegt"



Heute haben die Les noch drei Kinder. Kien bekam nach Jahren von einer Hilfsorganisation eine Prothese und kann seitdem wieder arbeiten. Er ist inzwischen so etwas wie die Stimme der Minenopfer Vietnams. Im vergangenen Jahr reisten Kien und Huong nach Bali, um auf einer internationalen Konferenz für ein Verbot von Streumunition zu werben. Seinen Lebensunterhalt aber verdient Le Kien immer noch als Bauer. Im knietiefen Wasser der Reisfelder kann er zwar nicht mehr stehen, aber seinen Garten beackert er weiter. "Natürlich habe ich dabei Angst, wieder auf eine Bombe zu treffen", sagt er. "Wir wissen ja nicht, was noch alles unter der Erde liegt."



Autor: Mathias Bölinger

Redaktion: Silke Ballweg


fuente. http://www.dw-world.de

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